24. Tag: Die Stadt, die mich in Atem hält

Man muss schon sagen: Es schläft sich unheimlich gut im Coupe der Transsibirischen Eisenbahn. Wir sind frisch und gut drauf. Schaden kann die Energie nicht, denn heute kommen wir in Moskau an. „Die Stadt, die mich in Atem hält“ tönten vor wenigen Jahren ein paar deutsche Krachmacher mit verzerrten Gitarren. Da bin ich ja mal gespannt. Dieser Teil der Reise ist ausnahmsweise wenigstens grob geplant, wir müssen uns zum Glück nicht um eine Schlafgelegenheit kümmern. Drei Nächte werden wir in einem Home Stay verbringen, also bei einer Privatperson im Haus oder der Wohnung, Zelt oder Keller, mal schauen. Das ist in einer Stadt wie Moskau allein aus Kostengründen sehr zu empfehlen. Den Bahnhof werden wir pünktlich erreichen, da gibt es wenig Zweifel.

Die Transsib gilt trotz ihrer enormen Länge als eines der sichersten und zuverlässigsten Verkehrsmittel. Und in der Tat: Betrachtet man die Fahrpläne, die in den Gängen der Züge aushängen, so ist die Differenz zur realen Zeit praktisch gleich null. Es liegt mir auf der Zunge – die Deutsche Bahn müsste sich wohl mal ein Beispiel daran nehmen. So richtig einschätzen kann ich’s aber selber nicht, denn auf die Dienste der DB verzichte ich gern und steige lieber ins Flugzeug oder das Auto.

Schon nach dem Aufstehen beginnen wir, Unmengen von unseren Vorräten wegzumampfen. Es will ja keiner mit dem ganzen Kram durch die Metropole stolpern. Als der Zug dann endlich in den Bahnhof rollt, verfehlt das Eisenschwein den Bremspunkt um viele Meter und schießt fast über den Bahnsteig hinaus. Schuld waren unsere inzwischen sehr dicken Bäuche, die die Schwungmasse des Zuges praktisch verdoppelten. Physikalisch ist das natürlich absoluter Unsinn, wie wir bald feststellen. Aber es klingt putzig und fühlt sich in dem Moment vor allem so an.

Wie vereinbart werden wir vom Bahnsteig abgeholt. Ein Mann, geschätzte 45 Jahre alt, hält ein lustiges Schild mit unseren Namen in der Hand. Nach der knappen Begrüßung rennt dieser Mensch wie angestochen los, wohl in Richtung seines Autos. Bepackt wie der fast zeitgleich einfahrende Güterzug haben wir Mühe, dem rasenden Roland (hach, nennen wir ihn doch fortan einfach so!) auf den Fersen zu bleiben. War das nun eigentlich unser Gastgeber? Auf dem Ticket stand etwas von einem Professor. Nein, dafür fehlt ihm die Ausstrahlung, die Souveränität. Und es ist zudem fraglich, ob sich ein Prof mit Schild in der Hand am Bahnhof zum Ei macht. Roland bringt uns zu unserer Unterkunft. Besonders sympathisch wirkt er nicht, aber vielleicht ist das ja auch nur die viel zitierte Distanz, die Kühle, die moskauer Menschen versprühen sollen. Er lässt sich nach einiger Zeit immerhin dazu herab, mit uns ein paar Worte zu wechseln und taut ein Wenig auf. Ja, auch er war schon in Deutschland. Er schwärmt über das deutsche Bier, die Autos und Bayern. Bayern? Nun, kann jedem mal passieren, der arme Kerl weiß es eben nicht besser. Er fährt übrigens einen Opel Zafira, eines der besonders bösen Relikte aus dem prämagnaischen Zeitalter des Traditionsautobauers.

Nach etwas mehr als einer halben Stunde Fahrzeit kommen wir an. Es geht mit dem Aufzug in die 6. Etage, das ist fast ganz oben. Dort empfängt uns ein alter, sehr aufgeschlossener und warmherzig wirkender Mann. Das muss dann wohl der Herr Professor sein. Satte 77 Jahre ist er alt, spricht ausgezeichnetes Englisch und hat sofort enormen Redebedarf. Roland wird noch verabschiedet, nachdem wir sein Angebot, uns in 3 Tagen für 45 Euro zum Flughafen zu bringen, dankend ablehnen. Arsch offen, oder was? Und los geht’s! Das Mundwerk des pensionierten Altakademikers ist schnell warmgelaufen, er erklärt uns in zwei Stunden kurzerhand, wie die Welt funktioniert. Und sein Türschloss. Ob wir dessen Bedienung mächtig sind, prüft er im Feldversuch ab. Wir bestehen. Manchmal ist so ein Studium doch zu etwas gut. Bezeichnend: Er entlässt uns in den Abend mit den Worten „this is the end of my lecture“. Das wirkt so vertraut, dass man geradewegs den Block einpacken und den Hörsaal in Richtung Kneipe verlassen möchte.

Ein Teil der Lehrveranstaltung beinhaltete auch das Bewegen in Moskau. Das testen wir gleich mal aus und machen uns auf den Weg zum Roten Platz. Klappt alles super. Im Treppenhaus, welches wir nur runterzu benutzten, entdecken wir zu unserer großen Überraschung eine alte Dose „Trinkfix“. Gelernte DDR-Bürger werden wissen, was gemeint ist.

Unsere kleine Tour quer durch das abendliche Moskau ist grandios. Die Stadt erstrahlt im warmen abendlichen Sonnenlicht, was die Farben der Zwiebeltürmchen und der anderen einzigartigen Bauten rund um den Roten Platz richtig zum Leuchten bringt. Traumhaft! Beim Thema Abendessen entscheiden wir uns für zünftige russische Hausmannskost und betreten kurzerhand den nächsten McDonald’s-Schuppen. Gegen 23 Uhr sind wir zurück, Bierchen, schlafen. Freue mich schon auf den nächsten Tag, denn dann steht der Kreml auf dem Plan!

Schreibe einen Kommentar