Was haben wir da am Vortag nur geplant für den heutigen Tag? War das so klug? Jedenfalls klingt das Vorhaben umso spannender, je näher es rückt. OK, es geht dann heute also die Berge hinauf, so grob in Richtung Norden. Schaut man sich das auf der Karte an, so findet man schnell heraus, dass es dort entlang gar nicht weit nach Kasachstan ist. Wir finden Bestätigung im Lonely Planet: Etwa 70 Kilometer, also zwei Tagesmärsche wären das. Die Pässe sind allerdings nahezu dicht, weil in diesem Jahr die Schneeschmelze später eingesetzt hat. Das kann uns auch egal sein, denn wir sind bei den Kirgisen und wollen dort auch noch eine Weile bleiben. Ist ganz angenehm hier!
Wie hoch uns die in wenigen Minuten beginnende Tour bringen wird, wissen wir noch nicht so genau. Fakt ist: Auf den Jeep haben wir verzichtet, auf einen Fußmarsch auch – wir werden reiten! Und da kommt er auch schon angedüst, unser Guide, und insgesamt 5 Pferde hat er unterm Arm. Melis heißt er, der sich gleich damit befleißigt, unser Gepäck irgendwo am Sattel anzubinden. Das Interessante: OW und ich sind noch nie wirklich geritten, und Volksfeste mit blöden „Ich-lauf-mal-kurz-im-Kreis“-Reitaktionen im Kindesalter zählen nicht. Alice und Thomas hingegen wussten, wie der Hase – Pardon, der Gaul! – läuft. Alice hatte sogar einen Reitlehrerschein. Na da konnte wenig schief gehen. Wir wurden sprichwörtlich ins kalte Wasser geschmissen. Melis hat auf sowas wie eine Einführung großzügig verzichtet. Deswegen erklärte uns Thomas kurz, wie das mit Gas, Bremse, Kupplung und Lenkung funktioniert. Und schon geht’s los. Nach 200 Metern meint mein Pferd, es müsste mal kurz den Chef raushängen lassen. Ab auf die Hinterbeine und Zähne zeigen! Und diese bei der Gelegenheit gleich noch in Thomas‘ Pferd reinhauen, um die Kräfteverhältnisse auch schön geschmeidig zurechtzurücken. Ein alter Möchtegern-Cowboy wie ich lässt sich von so einer Aktion natürlich nicht im Geringsten beeindrucken und schon gar nicht abwerfen vom Kameraden auf 4 Beinen. Alles ok! Die verräterische Pulsuhr, die nicht nur akustischen Alarm geschlagen, sondern dank integrierter Sim-Karte und GPS-Ortung wahrscheinlich gleich selbständig den Rettungshubschrauber gerufen und zur richtigen Position gelotst hätte, befand sich zum Glück nicht in greifbarer Nähe. Danach ging alles wie von selbst. Zwei Stunden sollte der Aufritt dauern bis zu dem Platz, an dem wir den Aufbau einer Jurte begleiten und später darin schlafen würden. Langsam geht es voran. Wenigstens bleibt so genug Zeit, die Gegend ausgiebig zu genießen. Und für den Anblick, der sich für uns nach jeder Kurve in neuer Form bietet, kann man sich gar nicht genug Zeit nehmen. Atemberaubend!
Wir kommen nach gefühlten 14 Stunden am Zielort an, mitten in den Bergen, mitten im menschenleeren Raum. Eine Hand voll Leute ist schon mit dem Abladen von Material vom LKW beschäftigt. Kinder tollen herum, zwei Hunde sind etwas fauler unterwegs und machen es sich unter dem Laster bequem. Nach unserer Ankunft gibt es erstmal etwas zu futtern. Brot, Sahne (ein butterähnliches Zeug), Kefir. Wir steuern noch ein paar Kekse bei, und fertig ist das Festmahl. Danach werden wir aktiv und helfen beim Aufbau der Jurte. Ein deutscher Bauingenieur hätte sich das nicht mit anschauen dürfen, was da in rund einer Stunde entstand, aber es war dann zum Ende hin doch irgendwie halbwegs stabil.
Endlich fertig. Zurück zu den Pferden! Na nu, wo sind die denn hin? Ach, die hatten sich nur großzügig beim Gras bedient und waren schon mal einen halben Kilometer vorgelaufen. Es ging dann weiter, Melis wollte mit uns noch einen kleinen Ausritt unternehmen. Und was uns jetzt erwartete, ist mit Worten kaum zu beschreiben. Wir reiten Wege, die zu Fuß kaum möglich wären. Es geht steile Berge hinab, quer durch’s Geröll, haarscharf an Abhängen vorbei. Ein falscher Tritt vom Pferd, und es geht steil abwärts in die ewigen Jagdgründe. Angst kommt komischerweise nicht auf, nur Respekt. Und wenig später das bewegende Gefühl von Freiheit und der Gewissheit, hier gerade etwas für uns einmaliges erleben zu dürfen. Landschaftlich erinnert mich die ganze Sache an Szenen aus „Der Herr der Ringe“. Extrem und unbeschreiblich, auch mit Fotos kaum zu erfassen. Pause. Thomas spielt mal eben den Lebensretter und bewahrt eine Baby-Wachtel vor dem sicheren Tod durch den Hund eines unserer Begleiter, der vor ein paar Sekunden eine weitere Wachtel erlegt hat. Pause beendet, zurück in den Sattel!
Auf einer weiten Fläche bringen wir unsere Pferde erstmals in den Galopp und rasen Seite an Seite in unendliche Weiten hinein, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Minuten später finden wir uns inmitten einer riesigen Herde aus Schafen, Kühen und Ziegen wieder. Hey, das ist Cowboyfeeling! Einer unserer Begleiter schießt noch schnell sein Abendbrot: ein Murmeltier. Wir reiten weiter und sind inzwischen so sicher im Sattel, dass wir uns kleine Rennen liefern. Für einen Moment dachte ich, ich hätte die Meisterin Alice tatsächlich abgehängt. Die hat aber nur bei Tempo 160 ihre Sonnenbrille verloren und ist deswegen kurz umgekehrt.
Nach acht Stunden auf den Rücken unserer edlen Rösser sind wir wieder zurück bei der Jurte. Inzwischen sind es derer schon zwei. Nun gibt’s also eine Kombüse neben der Captain’s Lounge – sehr schön! Ein heißes Mahl wird uns zum Abend kredenzt. Laghman, frisch zubereitet auf dem von getrockneter Kuhscheiße befeuerten Ofen. Lecker, wirklich! Inzwischen wissen wir auch, auf welcher Höhe wir uns befinden, denn die GPS-Telefone konnten wir dann doch nicht im Tal lassen. Immerhin auf 2700 Metern über NN sitzen wir und schlürfen das obligatorische Feierabendbier. Bei entsprechend kühlen Temperaturen begeben wir vier lustigen drei uns in der Jurte allmählich in die Horizontale. Ein traumhafter Tag geht zuende.
😛 Einfach beeindruchend und toll die Reiseberichte. Habe es heute bis zum 14. tag geschafft und die Route verfolgt.
Werde nach meinem Wochenendausflug mich nächste Woche weiter in den Bann ziehen lassen.