Überraschung: Wir erwachen. Vermutlich haben wir also vorher geschlafen, und das ist ein echter Fortschritt. Die Nacht war wirklich sehr angenehm und geruhsam, sodass wir wieder durchstarten können in den Tag. Es stellt sich zwar die Frage, wofür wir die getankte Energie brauchen, denn wir haben noch rund 20 Stunden Zugfaht vor uns. Aber die Laune passt, es gibt reichlich heißes Wasser für den Tee, und sogar Bier ist noch da. Was soll einen da aus der Bahn (oder den Gleisen) werfen?
Nun, so eine tagelange Zugfahrt ist bedingt spannend. Wir haben aber größtenteils ganz vernünftiges Wetter, ein Blick aus dem Fenster lohnt allemal. Denn es bestätigt sich, dass die Steppe so langsam verschwindet und die Umgebung ergrünt. Aus trockenem Gras werden saftige Wiesen, auch Bäume gibt’s auf einmal wieder. Wir passieren in diesen Stunden den Balchaschsee und steuern geradewegs auf das ehemalige Atomwaffentestgebiet um Semipalatinsk zu. Ich kann persönlich nicht behaupten, dass mir das in irgendeiner Form Sorgen bereitet. Als echter Erzgebirger gehört eine ordentliche Portion radioaktive Strahlung genauso zum Alltag wie das Ei zur Henne, der Deckel zum Topf oder das Crack zu Amy Winehouse.
Am Nachmittag passieren wir die Grenze zu Russland. Angenehm, dass wir im Zug sitzen bleiben dürfen. Weniger angenehm, dass etwa 10 unterschiedliche Grenzer ihre Nase in unser Abteil halten, darunter auch Hunde. Ach ja, die Anzahl gilt jeweils für Kasachen und Russen. Das Tolle: Selbst wenn man noch nie eine russische Zöllnerin gesehen hat, wird man sie sofort als eine solche erkennen können. Groß, stämmig, aufgebrezelt, burschikos – irgendwie Klischee und irgendwie voll ins Schwarze. Das ganze Prozedere dauert so um die zwei Stunden, die Einreise nach Russland gelingt aber schmerzfrei. Das möchte ich auch gehofft haben, nachdem es praktisch ein Unding war, ohne Kopfstände ein Visum dahin zu bekommen.
Na dann, auf in die letzte Nacht in diesem Zug. In aller Frühe werden wir Novosibirsk erreichen. Ich bin gespannt!